
Kintsugi – Würdigung der Narben
In Japan existiert eine Haltung, «Kintsugi» genannt. Wenn ein Gefäss zerbricht, wird es wieder zusammen gefügt. Die ‹Narben› werden vergoldet und wieder wertgeschätzt. In dieser Haltung arbeite ich mit traumatisierten Menschen. Denn sie haben etwas Schreckliches erlebt & überlebt. Das ist nicht selbstverständlich. Dies möchte ich würdigen.
Traumatische Verletzungen hinterlassen Narben im Körper und in der Seele. Wir können lernen, mit diesen Narben zu leben, wir können sie betrachten und würdigen, massieren und mit der Zeit weicher und geschmeidiger werden lassen. Sie werden bleiben und sie sind ein Teil von uns. In Japan existiert eine Haltung, die ‹Kintsugi› genannt wird. Wenn Geschirr zerbricht, wird es wieder zusammen gesetzt. Die Scherben werden zusammen gesucht und zusammen gefügt. Bruchstellen werden in einem aufwändigen Verfahren mit Lack bearbeitet und vergoldet. Dadurch werden die Narben weder überpinselt, noch vertuscht. Die Scherben werden nicht unter den Teppich gekehrt, sondern sogar betont und wertgeschätzt. Denn die goldenen Narben machen das Gefäss noch wertvoller. In dieser Haltung arbeite ich mit traumatisierten Menschen, die erfahren mussten, dass in ihnen etwas zerbrochen ist – Beispielsweise Urvertrauen, Vertrauen in andere Menschen, Selbstvertrauen oder Integrität und Würde. Oft gehen durch menschengemachte traumatische Erlebnisse Beziehungen in die Brüche. Das können Eltern-Kind-Beziehungen, Intimbeziehungen oder Freundschaften sein. Menschen, die sexualisierte Gewalt erlitten haben, wurden in ihrer Würde und in ihrer körperlichen Integrität zutiefst verletzt. Es hat sie bis ins Mark getroffen. Die Angst sitzt ihnen noch in den Knochen. Die Erinnerungen daran sind möglicherweise zersplittert und nur bruchstückhaft abrufbar. Ich möchte eine Atmosphäre anbieten, wo das erfahrene Leid anerkannt wird, und wo Würde und Wertschätzung Raum bekommen. Einen Raum, wo ‹es sich fügt› – zusammenfügt zu einem Grossen & Ganzen. Einen Raum, wo zerbrochene Teile wieder in Verbindung gebracht werden. So kann es beispielweise in der ganzheitlichen Traumatherapie darum gehen, wieder in Kontakt zu kommen mit dem inneren Kind, oder in Verbindung zu sein mit dem eigenen Selbst, mit den eigenen Gefühlen, dem Unbewussten, der ganz persönlichen Innenwelt. Und es kann auch darum gehen, wieder Verbindungen einzugehen zu anderen Menschen und zur Aussenwelt. Wenn ein Leben, das in Trümmern lag, verbunden und geheilt wird, kann wieder Lebenskraft fliessen.
